Russinnen und Russen über den Krieg aufklären
Info: Eine Sammlung von konkreten Ansätzen, wie du Russinnen und Russen über den Krieg aufklären kannst, findest du auf der zweiten Seite. Textentwürfe, die zur Aufklärung dienen, findest du auf der dritten Seite.
Zuerst aber schildere ich, was mich motiviert, diese Ideen zusammenzutragen. Ich verzichte hier weitestgehend auf Quellen und berufe mich auf die Berichterstattung von Spiegel Online, Zeit Online, des KATAPULT Magazins und der Tagesschau, welche ich regelmäßig konsumiere. Zahlen und Daten entsprechen dem Stand der Berichterstattungen zum 6. März 2022.
Wie soll der Krieg enden?
Wie soll der Krieg Russlands gegen die Ukraine enden? Kiew wird eingenommen und die Regierung um Präsident Wolodymyr Selinskyj ins Gefängnis gesperrt, sofern sie nicht im Krieg umkommt? Und dann? Russland hätte die Grenzen erneut verschoben, Putin könnte weiterhin bis an sein Lebensende regieren und würde vielleicht sogar weitere Staaten angreifen.
Den Gedanken halte ich zumindest für wahrscheinlicher als dass Putin militärisch unterlegen ist oder aufgrund der harten Sanktionen aufgibt.
Und selbst wenn er aufgäbe, was würde dann aus diesem Kriegsverbrecher werden? Business as usual? „Oh sorry, hab’s nicht so gemeint, ich halte erstmal wieder die Füße still.“
Kriegsverbrechen lassen sich nicht rückgängig machen
Was gerade passiert, lässt sich ja nicht rückgängig machen. Die ukrainischen Städte Kiew, Charkiw, Mariupol und viele weitere sind zu großen Teilen zerstört. Unzählige Menschen haben ihre Wohnungen verloren, einige sogar ihr Leben – nicht nur Soldaten. Knapp 1,5 Millionen Menschen sind bereits aus der Ukraine geflohen. Das sind knapp 4% der Gesamtbevölkerung des Landes. Und diese fliehen nicht etwa nach Russland, sondern in den Westen. Allein das ist ein ziemlich klares Indiz dafür, dass die Zivilbevölkerung der Ukraine sich durch diesen Krieg nicht wirklich von Russland gerettet fühlt.
Aber genau das ist Putins Rechtfertigung für den Krieg. Er müsse die Ukraine von ihrem drogenabhängigen Nazi-Regime, das seine Bevölkerung abschlachte, befreien. Das erzählt er in den russischen Medien. Und da es dort inzwischen ausschließlich vom Staat gelenkte Medien gibt, glauben das weite Teile der russischen Bevölkerung auch.
So dürfen weder Medien noch Bevölkerung in Russland von einem Krieg sprechen, sondern von einer Befreiungsaktion. Und selbst, wenn es eine solche wäre, sind der Einsatz von Vakuumbomben, das Bombardieren von Wohngebäuden, Schulen und Krankenhäusern und der Beschuss von Atomkraftwerken als Kriegsverbrechen zu werten.
Russ*innen haben keinen Zugang zu unabhängiger Berichterstattung
In einem Bericht der BBC schildert eine 25-jährige Ukrainerin aus Charkiw, dass ihre in Moskau lebenden Eltern ihren Schilderungen keinen Glauben schenken. Sie reden die Angriffe klein und erzählen die von Putin in den russischen Medien gestreuten Märchen weiter. Sie sind sich sicher, die Bombardierung von Wohnhäusern sei entweder nur ein einmaliges Versehen der Russischen Soldaten oder eben ein gezielter Angriff ukrainischer Soldaten auf die eigene Bevölkerung. Und dass ja genau aus letzterem Grund Putin diese „Befreiungsaktion“ gestartet habe.
Nun sind da also diese Eltern, die nicht einmal ihrer eigenen Tochter glauben. Weil ihre Tochter die einzige ist, die ihnen etwas anderes erzählt als die russischen Medien. Alle russischen Medien, die ihrer Tochter beipflichten könnten und Russinnen und Russen über den Krieg aufklären, wurden dichtgemacht. Protestierende, die gegen den Krieg demonstrieren und diesen auch beim Namen nennen, werden weggesperrt – sogar Kinder.
Das russische Volk ist die einzig echte Chance
Dieser Krieg ist kein russischer Krieg, sondern es ist Putins Krieg. Dieser wird nicht nur auf dem Rücken der Ukrainer*innen ausgetragen, sondern auch auf dem der russischen Bevölkerung. Die notwendigen Sanktionen treffen auch die Bürgerinnen und Bürger Russlands. Durch den konsequenten Rückzug vieler ausländischer Unternehmen verlieren unzählige Menschen ihren Job. Familien verlieren ihre Männer und Söhne, die entweder in den Krieg ziehen müssen oder wegen Befehlsverweigerung im Gefängnis landen würden.
An Putin selbst heranzukommen, ist wohl kaum möglich. Selbst seine engsten Vertrauten hält Putin auf Distanz. An eine Meuterei glaube ich nicht, auch wenn man es sich sicherlich insgeheim wünscht. Klar, der Fisch stinkt hier ganz klar vom Kopf, aber es ist ungewiss, wie sehr Putins Vertraute dessen Agenda ohne ihn weitertragen würden. Wenn sie sich nicht vor dem Kriegsgericht in Den Haag wiederfinden wollen, um sich für den Bruch des Völkerrechts und diverse Kriegsverbrechen zu verantworten, bleibt Ihnen nur, den Krieg zu gewinnen.
Ein wehrhaftes Volk halte ich persönlich für das wichtigste Instrument, Putin zu Fall zu bringen. Unzählige Russ*innen gehen bereits auf die Straße, um sich gegen den Krieg und damit gegen die Regierung auszusprechen. Dafür zahlen sie aber teilweise einen hohen Preis. Bereits knapp 2.000 Menschen wurden russlandweit aufgrund ihrer Kritik verhaftet. Es gehört also verdammt viel Mut dazu, sich zu wehren. Daher ist vor allem Masse wichtig. Die Gefängnisse haben keine unendliche Kapazität. Zeigen sich die Russ*innen untereinander solidarisch, kämpfen sie weiter. Denn nur, wenn sie zusammen so viel Druck aufbauen und so eine Veränderung herbeiführen, werden die Inhaftierten wieder freikommen und wieder eine echte Opposition möglich sein. Ich spreche hier von nichts weniger als einer Revolution.
Wir müssen Russinnen und Russen über den Krieg aufklären
Wie das oben genannte Beispiel der Ukrainerin und ihrer in Moskau lebenden Eltern zeigt, sind sehr viele Menschen von der russischen Berichterstattung verblendet – mangels Alternative. Russland hat inzwischen Facebook und Twitter gesperrt. Kritische Medienvertreter sind im Gefängnis oder haben keine Arbeitserlaubnis mehr. Es ist in Russland schwer – vor allem für ältere Bürger*innen – an unabhängige oder ausländische Berichterstattung heranzukommen. Denn mit dieser Berichterstattung hätten die Menschen in Russland wenigstens die Chance, zu hinterfragen oder sich gar eine individuelle Meinung zu bilden. Darum müssen wir Russinnen und Russen über den Krieg aufklären.
Wir sind gefragt
Wir können und sollten spenden und Leute aus der Ukraine aufnehmen. Aber es gibt nicht viel, was wir tun können, um Einfluss auf den Krieg zu nehmen. Klar, mit Demonstrationen zeigen wir unseren Regierenden, dass wir uns maximale Solidarität mit der Ukraine wünschen, aber einem Putin ist das, gelinde gesagt, scheißegal. Und das russische Volk wird die Bilder von Demonstrationen in anderen Ländern nie zu Gesicht bekommen.
Daher müssen wir als Bürgerinnen und Bürger die Russinnen und Russen direkt adressieren. Doch wie soll das gehen?
Tindern für den Frieden
Inspiration dazu lieferte nicht nur mir, sondern auch vielen Medien in Deutschland die Twitter-Userin Mareile aka @Hoellenaufsicht mit ihrer Idee, über Tinder mit Russinnen und Russen in Kontakt zu treten.
Welche Möglichkeiten gibt es also, ohne jegliche Kontakte mit Menschen in Russland zu kommunizieren? Und in welcher Sprache und mit welchen Informationen soll man diese Leute ansprechen? Dazu mehr auf den nächsten beiden Seiten.