Neidkultur

Deutschland hat eine Neidkultur.1 Die Deutschen sind eine Neidgesellschaft.2 Deutschland ist Neid-Weltmeister.3 So in etwa klingen die Titel verschiedener Artikel auf diversen Deutschen Portalen. Und es stimmt. Im internationalen Vergleich empfinden Deutsche häufiger Neid. Allerdings die schlimme Form davon, nämlich in Kombination mit Missgunst.

Zur Bundestagswahl 2021 schrieb ich den Song „Neidkultur“ für mein Anti-AfD-Album „Album für Deutschland„. Denn die AfD spricht gezielt das Neidempfinden der Menschen an – leider mit Erfolg. Den Song gibt es auf allen Streaming-Plattformen. Hier gibt es einmal den reinen Text als Video:

Neidkultur Video

Text zu Neidkultur

Der Song „Neidkultur“ ist ein Rap. Über meine Qualitäten als Rapper lässt sich mit Sicherheit streiten. Auf meine Rap-Fähigkeiten ist sicher keiner neidisch. Vom Text des Songs bin ich selbst aber durchaus überzeugt, weshalb ich ihn auch gerne in einem Video verewigen wollte. Aber eben nicht in einem Musikvideo.
Hier findest du nochmal den Text des Songs zum Nachlesen:

Lyrics von Neidkultur

Ihr seid so wütend, weil wieder jemand and’res was kriegt,
weil er was hat, von dem ihr denkt, dass er es nicht verdient.
Denkt, ihr werdet übergangen, das schlägt euch auf den Magen.
Fühlt euch benachteiligt, ohne einen Nachteil zu haben

Wenn irgendjemand was bekommt, dann wollt ihr es auch,
schon ganz alleine aus Prinzip, obwohl ihr es gar nicht braucht.
Und wenn ihr doch kapiert, dass ihr damit nichts anfangen könnt,
dann schwillt die Missgunst in euch, ihr wollt es allen aberkenn’.

Wenn ein Geflüchteter ein Handy kriegt, verliert eures nicht an Wert.
Die Ehe ist für alle da, sie ist kein Hetero-Privileg.
Ihr rastet aus wenn Frauen gratis Tampons krieg’n,
Schimpft ihr auch über Lotto-Gewinner, ohne Lotto zu spiel’n?

Warum fällt’s euch so schwer, and’ren was zu gönnen? (Das ist die Neidkultur)
Warum fällt euch nichts bess’res ein, als euch dagegen zu stemmen? (Verdammte Neidkultur)
Warum denkt ihr zuerst an euch und eure eig’nen Interessen? (Gottverdammte Neidkultur)
Auch wenn an and’re gedacht wird, ihr werdet nicht vergessen. 

Lasst euch nicht einreden, man bringe euch den Untergang,
niemand nimmt euch was, es gibt ihn nicht, den bösen schwarzen Mann.
Euch geht’s nicht automatisch schlecht, wenn es woanders grad nicht läuft,
euch fehlt ja auch nicht die Luft, wenn im Mittelmeer ein Kind ersäuft.

In eurer Bubble werdet ihr von Hass und Hetze beschallt,
werdet darauf getrimmt, dass es in Deutschland ganz bestimmt bald knallt.
Ihr nehmt schon gar nicht mehr wahr, was ist echt und was ist Fake,
schimpft auf die da oben und vergesst, wie gut es euch geht.

Warum fällt’s euch so schwer, and’ren was zu gönnen? (Das ist die Neidkultur)
Warum fällt euch nichts bess’res ein, als euch dagegen zu stemmen? (Verdammte Neidkultur)
Warum denkt ihr zuerst an euch und eure eig’nen Interessen? (Gottverdammte Neidkultur)
Auch wenn an and’re gedacht wird, ihr werdet nicht vergessen. 

Haltet inne – blickt mal tief in euch hinein,
ganz sicher findet ihr ne Menge, um zufrieden zu sein.
Ihr habt ein Dach über’m Kopf, etwas zum Essen auf dem Tisch,
die Qual der Wahl, guckt ihr TV oder doch etwas auf Netflix.

Das soll nicht heißen, dass ihr nicht nach noch viel mehr streben sollt,
keiner will euch daran hindern, das zu kriegen, was ihr wollt.
Macht euer Glück nicht daran fest, was ein anderer hat
und sucht die Schuld nicht gleich bei and’ren, wenn mal etwas nicht klappt.

Warum fällt’s euch so schwer, and’ren was zu gönnen? (Das ist die Neidkultur)
Warum fällt euch nichts bess’res ein, als euch dagegen zu stemmen? (Verdammte Neidkultur)
Warum denkt ihr zuerst an euch und eure eig’nen Interessen? (Gottverdammte Neidkultur)
Auch wenn an and’re gedacht wird, ihr werdet nicht vergessen. 

Guter Neid, schlechter Neid

Oben sprach ich ja von der „schlimmen“ Form von Neid. Neid ist nicht gleich Neid. Beschränkt sich mein Gefühl darauf, dass ich gerne etwas hätte, was jemand anderes hat oder gehen meine Emotionen so weit, dass ich es meinem Gegenüber sogar missgönne? Wenn ich mit einem Kumpel essen gehe und sein Essen lacht mich beim Servieren mehr an als das, was ich bestellt habe, heißt das ja nicht, dass ich ihm seine Wahl nicht gönne.

Anderes Beispiel, was man bei Kindern sicherlich schonmal beobachtet hat. Zwei Kinder wollen sich einen Schokoriegel teilen. Nun sind aber die beiden Hälften nicht exakt gleich groß. Eines der Kinder bekommt etwas mehr. Das kann schon mal zum Drama werden.

Zu Situationen dieser Art kann sich auch mal Wut mischen, die so weit ausartet, dass es dem Benachteiligten lieber ist, dass niemand etwas kriegt, als dass er selbst weniger als der andere kriegt. Klingt eigentlich total dämlich, aber ist leider nicht so ungewöhnlich.

Tampons bringen Wut

Wer gelegentlich auf Twitter unterwegs ist, wird immer wieder mal den Hashtag #Tampons in den Trends finden. Die Thematik kocht immer wieder auf, und es ist immer dieselbe: Irgendeine öffentliche Einrichtung irgendwo auf der Welt stellt kostenlose Hygieneartikel für Frauen auf den Toiletten zur Verfügung. Und zack kommen die ganzen, maßgeblich männlichen Allmans aus ihren Löchern und beklagen sich. Schließlich würden diese Tampons ja von Steuergeldern bezahlt werden, die ja auch von Männern entrichtet werden. Als Argument kommt dann, dass Männer ja auch nicht finanziell unterstützt werden. Schließlich haben sie durch ihre Statur einen größeren Energiebedarf als Frauen und müssen daher mehr essen. Auch wird von diesen gerne mal gefordert, dass für Männer im Gegenzug gratis Rasierer ausliegen sollten.

Das Beispiel zeigt, wie viele Leute ticken. Wenn andere etwas bekommen, dann wollen sie entweder auch was davon oder eben niemand soll etwas kriegen. Es scheint also, als wäre der (männliche?) Durchschnittsdeutsche in diesem Fall emotional nicht nennenswert reifer als Kinder, die sich um Schokolade streiten.

Es könnte besser sein

Man erhält den Eindruck, dass viele, wirklich viele Menschen nicht zu schätzen wissen, wie gut es ihnen geht. Gerade zu Zeiten des Ukrainekrieges, wo sich so viele Menschen – bislang ein Zehntel der gesamten Bevölkerung der Ukraine – zur Flucht gezwungen sehen. Immerhin zeigen sich hier die Deutschen deutlich gastfreundlicher als bei Flüchtenden aus arabischen Ländern. Die Menschen aus der Ukraine sind ja schließlich, wenn man Bildleser fragen würde – „echte Flüchtlinge“. Aber das ist ein anderes Thema, welches einen schon gerne kotzen lassen kann.

Klar sind jetzt viele Leute dankbar, dass sie hier in Deutschland relativ sicher leben und die meisten auch alles haben, was sie zum Leben brauchen. Aber das reicht wohl den wenigsten. Anderen geht es ja noch besser, also will man selbst auch mehr. Das ständige Streben nach mehr, bloß nicht verharren, als erklärte sich jeder Mensch zum Aktienunternehmen, welches rund um die Uhr wachsen sollte.

Obwohl es den Deutschen eigentlich so gut geht wie lange nicht mehr, empfinden sie das aber anders.4 Lustigerweise aber nur, wenn sie sich Deutschland gesamt ansehen. Gucken sie sich nur in ihrem direkten Umfeld um, ist alles tutti. Das Gefühl sagt, mit Deutschland geht es bergab, weil man ständig negative Schlagzeilen serviert bekommt. In den seltensten Fällen ist man selbst von den schlechten Nachrichten direkt betroffen. Und wenn doch, dann nur in Teilen. Aber das Gefühl sagt, alles ist kacke und es muss besser werden.

Aus diesem Grund gönnt man den Frauen nicht ihre kostenlosen Tampons, Flüchtlingen kein kostenloses Smartphone und den Homosexuellen keine Ehe. Kann ja nicht sein, dass alle was kriegen, nur man selbst nicht. Das ist zum Haare raufen.

Die AFD nutzt die Neidkultur

Klar, dass die AfD den Neid, der uns Deutschen scheinbar in den Genen steckt, mit ihrer Rhetorik triggert. Die Grundaussage des Programms ist doch eigentlich schlichtweg: „Hey, dir könnte es besser gehen. Alle anderen kriegen was, was eigentlich dir gehört!“ Sobald der Neid da ist, wird es schwierig, Sachverhalte noch objektiv zu betrachten. Und schon werden Debatten hochemotional geführt und Sachlichkeit und Fakten sind passé. Das nutzt der AfD natürlich sehr, denn um Sachlichkeit und Fakten macht diese Partei stets einen großen Bogen.

Der Vorwurf, man sei neidisch, wird natürlich auch sehr gerne genutzt, um von Fakten oder Argumenten abzulenken. Natürlich nicht nur von der AfD, aber man merkt sowas doch schnell bei einem Klientel, das der Wählerschaft rechter Parteien entspricht. Kritisiert man zum Beispiel den hohen Benzinverbrauch eines großen Autos, kommt als Gegenargument nicht selten, dass man ja nur neidisch sei. Und schon hat die Debatte jegliche Sachlichkeit verloren.

Ich selbst merkte das kürzlich, als ich es auf Twitter wagte, Jeff Bezos zu kritisieren. In den Medien wurde berichtet, dass in Rotterdam eine historische Brücke abgebaut werden muss, damit Bezos‘ 430 Millionen Dollar teure Yacht durch die Stadt aufs offene Meer fahren kann. Die Quintessenz meiner Kritik hierbei ist zum einen, dass einen zu viel Geld den Bezug zur Realität verlieren lässt. Und ja, schlichtweg stellte sich mir die Frage, warum es eine so teure Yacht überhaupt geben muss. Ach und die schlecht bezahlten Amazon-Lagerarbeiter*innen nicht zu vergessen… Abgesehen von Statements, dass ja niemand gezwungen wird, für Amazon zu arbeiten und Jeff Bezos so toll ist, wurde mir – natürlich – Neid vorgeworfen. Tja.

3 Kommentare zu „Neidkultur“

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